Irreführende Kompass-Initiative

Nach dem Scheitern des Rahmenabkommens im Jahr 2021 lag es auf der Hand, dass ein neues Abkommen mit der EU ausgehandelt werden musste und dieses irgendwann dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden muss. Wer aber entscheidet über die Annahme oder Ablehnung solcher Verträge? Zählt nur das Volksmehr, oder ist auch das Ständemehr erforderlich. Diese Frage hat das Bundesamt für Justiz (BJ) analysiert und ist zum Schluss gekommen, dass es kein Ständemehr braucht. Der Direktor des BJ, Michael Schöll, erklärte gegenüber der NZZ am 13. Juli 2024, dass er selbst überrascht gewesen sei, wie klar das Ergebnis dieser Analyse ist.

Für die Gegner der EU-Verträge fiel mit dieser Analyse eine veritable Hürde weg, ist es doch für die Befürworter einfacher das Volksmehr zu erreichen, als die Stände der konservativen Kantone zu überzeugen.

Hier kommt nun die Kompass-Initiative ins Spiel. Sie verlangt die Anpassung der Bundesverfassung unter anderem von

Art. 140 Abs. 1 Einleitungssatz und Bst. bbis

Volk und Ständen werden zur Abstimmung unterbreitet:

bbis. völkerrechtliche Verträge, die eine Übernahme wichtiger rechtsetzender Bestimmungen vorsehen;

Mit der Annahme der Initiative unterliegen inskünftig alle völkerrechtlichen Verträge auch dem Ständemehr. Ziel der Initianten ist, dass die Abstimmung über ihre Initiative vor der Abstimmung über die EU-Verträge stattfindet um diese einfacher zu bekämpfen können. Die Stimmkraft des Kantons Zürich wird damit auf etwa 1/40 beschnitten! Und das auch für alle zukünftigen Verträge! Das ist ein Husarenstück, das in dieser Deutlichkeit im Initiativtext nicht vorkommt, denn der ist ja eidgenössisch. Wir erleben in weniger demokratischen Ländern immer wieder, wie unliebsame politische Richtungen auf alle möglichen Arten behindert werden, bis hin zu Gefängnis, Folter oder Vertreibung. Bei uns läuft das ganz demokratisch ab: mit einem süffigen Text sollen die bevölkerungsreichen Kantone sich selber schwächen. Ganz nebenbei: die finanzielle Stärke des Kantons Zürich soll natürlich unvermindert weiter allen zukommen.

Die Initiative wird auch von FDP-Mitgliedern mitgetragen die im in Initiativkomitee mitmachen oder aber im Regionalkomitee des Kantons Zürich. Ich kann das nur damit erklären, dass die Tragweite dieser Initiative nicht überlegt wurde.

Wenn Ihnen der Kanton Zürich und unbeschnittene Demokratie nicht gleichgültig sind, lassen Sie den Unterschriftenbogen für die Kompass-Initiative leer. 

Paul Studer